Pop_News_28.08.21
Fred Weyrich – Zum 100. Geburtstag eines genialen Musikproduzenten

Fred Weyrich – Zum 100. Geburtstag eines genialen Musikproduzenten

Wer von Renate Weyrich eingeladen wird, sie in ihrer Riederauer Villa zu besuchen, der begibt sich nach wenigen Schritten auf eine Zeitreise. Vor allem auf einen Trip in die Dekaden 40er - 90er Jahre. Gleich rechter Hand nach dem Eingang ist eine Wand, an die beeindruckende Erinnerungsstücke gehängt worden sind. Man sieht signierte Autogrammkarten, handgemalte Bilder-Originale, exklusive Widmungen. Wer sich nur ein bisschen mit der deutschen Schlager- und Chanson-Szene jener Ära auskennt, kommt aus dem Staunen nicht heraus.
Dort ein handgemaltes Porträt von Hildegard Knef persönlich, da ein Öl-Unikat der Gesangs-Ikone Alexandra, ins Leben gesetzt übrigens durch die Ammersee-Künstlerin Heide Geiser. Von den Hunderten Erinnerungen der berühmten Geschäftspartner (und zumeist Freunden) ganz zu schweigen. Mit Karel Gott, Vico Torriani, René Kollo, Hanne Haller, Willy Millowitsch seien nur einige Stars unter Hunderten genannt, die sich in Riederau verewigt haben.
Renate Weyrich hat die meisten dieser Ausnahme-Künstler ab Mitte der 70er Jahre kennen lernen dürfen. Allerdings zunächst nicht aus beruflichen Gründen - sondern als Gattin des legendären Musikproduzenten Fred Weyrich. Im April 1977 heiratete das Paar, schon einige Monate zuvor war Renate aus ihrem Geburtsort Berlin ins Domizil an den Ammersee gezogen.
Im aktuellen Jahr hätte Fred Weyrich seinen 100. Geburtstag feiern dürfen. Zur Welt kam er am 28. August 1921 in Neustadt an der Weinstraße, übrigens an einem Sonntag, wie er gerne immer wieder vergnügt erzählte. „Er war eine echte Pfälzer Frohnatur“, erinnert sich die Witwe etwas wehmütig. „Stets brachte er mich und unsere Leute zum Lachen, ich habe ihn nie mürrisch oder traurig gesehen.“
Eigentlich sollte der entschlussfreudige junge Mann Zahnarzt werden wie sein Vater. Doch rasch merkte das Energiebündel: „Das war nicht seine Berufung“, schmunzelt Renate Weyrich. „Daher kam es zwangsweise zum Bruch mit dem Erzeuger, als der Junior diesem 1939 mitteilte, er würde nach Berlin zum Studium der Schauspielerei gehen. Übrigens heimlich finanziert von der Mutter, der Papa erfuhr erst später davon.“
Zwei Jahre danach war es mit der Ausbildung vorbei - Weyrich wurde zur Wehrmacht einberufen. Zum Glück stellte man rasch das komödiantische Entertainment-Talent des Anfang-20ers fest. So blieb ihm der Einsatz an der Kriegsfront die drei Jahre seines Einsatzes erspart. Stattdessen betreute er das Soldatenpublikum an der Pommerschen Küste, wurde nach Nord-Norwegen versetzt, wo er Unterhaltungsprogrammgestalter und Sprecher am Soldatensender „Tromsø“ wurde. „Dazu war kabarettistische Erfahrung nötig,“ meint Renate Weyrich, „doch die hatte mein späterer Gatte sich bereits 1940 am Berliner „Kabarett der Komiker“ angeeignet.“ Der Komödiant, Sänger und Pianist hat die Zeit als Soldat wie folgt reflektiert: „Mit meinem parodistischen Talent, mit der Klavierspielerei, mit Conferencen und Gesang habe ich diesen hässlichen Krieg für mich persönlich gewonnen.“
Noch in Norwegen gründete das kreative Allround-Talent ein Swing-Sextett, das er 1946 - nach kurzer Kriegsgefangenschaft - geschlossen mit nach Deutschland nahm. Die Basis seiner späteren Karriere.
In der unmittelbaren Nachkriegszeit ging es hoch her im „kabarettistischen Dasein“ des Fred Weyrich. Zunächst im „Bonbonniere“ in Hamburg, 1947 in „Der Bunte Würfel“ in München. Kein Geringerer als Ausnahme-Schauspieler Gert Fröbe sollte sein Bühnen-Partner sein, ein Freund bis zum Lebensende. Schließlich ein eigenes Kabarett-Ensemble in Westerland auf Sylt. „Die Zuschauer wollten in jener schweren Zeit möglichst viel lachen“, sagt Renate Weyrich. „Und mein späterer Mann brachte sie dazu.“
Doch nach der Währungsreform sah es ganz bitter aus für Komödianten. Sämtliche Bühnen brachen zusammen und lösten sich auf.
Fred Weyrich ließ sich nicht unterkriegen, wurde in Hamburg zum „Haus-Sänger“ des NWDR, der später in „NDR“ umbenannt wurde. Als Plattenfirmen ab 1949 wieder Tonträger veröffentlichten, wurde Weyrich zunächst zum Sänger eigener Kompositionen, mit Hits wie „Mona Lisa“, „Wenn bei mir der Groschen fällt“, Zwei weiße Möwen“. Doch bald schon war es dem Mann mit der sonoren Stimme wichtiger, sich als Produzent zu verdingen.
„Er hat über 1200 Lieder getextet“, berichtet Renate Weyrich, „ansonsten hat er produziert. Fred hat ganze Generationen mit seinen Liedern beglückt. Konnte niemals still sitzen. Er war beseelt davon, schöne, unbeschwerte Stücke zu realisieren.“
Am Samstag den 29. Oktober 1955 besuchte das gerade mal 17jährige Schulmädchen Renate im Berliner „Sportpalast“ ein Konzert von Fred Weyrich, der die Veranstaltung moderierte. Wie ihre Mutter war das junge Mädchen glühende Verehrerin des Entertainers. „Ich hatte mir in den Kopf gesetzt, ein Autogramm von Fred unterschreiben zu lassen“, reflektiert sie den Beginn ihres Kennelnlernens mit dem um einiges älteren Musiker. „Ich habe eine Notlüge verwendet, um ihn persönlich zu treffen. So behauptete ich, mit ihm verabredet zu sein. Wenige Minuten später kam Fred tatsächlich runter ins Foyer des Konzertsaals. Er hat meine Flunkerei auf der Stelle durchschaut. Doch er hat sofort mitgespielt. Und zu mir gemeint: „Wenn Sie mir eine Bockwurst holen, bekommen Sie das Autogramm.“ Das habe ich brav getan. Und das war der Beginn einer wunderbaren Freundschaft. Ach ja, die 1,20 Mark für die Wurst ist er mir bis zu seinem Tod schuldig geblieben“, lacht die Witwe.
Lange Zeit war die Beziehung platonisch zwischen dem altersmäßig so unterschiedlichen Paar. Er lebte in Hamburg, die junge Frau in Berlin. Zudem war Weyrich verheiratet. „Aber wir blieben regelmäßig in Kontakt, er hat mir jede Menge Schallplatten zukommen lassen, die er produziert, für die er getextet hat.“
In den 70ern änderte sich das Verhältnis. Fred war mittlerweile geschieden. „Mit einem Mal funkte es zwischen uns“, meint Renate. „Aus dem platonischen Freund wurde der Seelenverwandte, die große Liebe meines Lebens.“
Die gelernte Bankkauffrau Renate gab ihren Job als Zweigstellenleiterin auf, die Berliner Bank, in der sie arbeitete, wollte sie nicht einfach ziehen lassen. Doch die Liebe war stärker. Und so kam der Umzug nach Riederau. Renate Weyrich wurde Produktionsassistentin, „also die rechte Hand meines Mannes“, stellt sie fest. „Ich habe ihm den Rücken frei gehalten, damit er sich ganz aufs Kreative konzentrieren konnte.“
Es war eine herrlich kreative, gleichzeitig romantische Zeit, wie sich die aparte, schmale Witwe erinnert. „Einfach eine große Liebe“, seufzt sie.
Anfang Dezember 1999 war Fred Weyrich noch beim Hausarzt, hatte sich komplett durchchecken lassen. „Er war vollkommen gesund, wurde ihm attestiert. Er steckte voller Tatendrang für neue Projekte“, berichtet Renate Weyrich. Dann kam die Nacht vom 29. auf den 30. Dezember 1999. Ehepaar Weyrich schlief im gemeinsamen Bett, wie stets. „Irgendwann morgens hat mich unser Hund aufgeweckt, er winselte. Ich drehte mich zu meinem Gatten um. Er war tot. Gestorben an akutem Herzversagen. Der sanfteste Tod, den man sich vorstellen kann. Aber für mich als Hinterbliebene der traurigste Moment meines Daseins.“
Die sonst so entschlossen wirkende Witwe stockt für einen Moment in ihrem Redefluss. Dann fasst sie sich wieder. Es gilt seit seinem Ableben, den Nachlass ihres geliebten Mannes zu verwalten. Mit großem, verwundetem Herz. Michael Fuchs-Gamböck

Bild: Renate Weyrich © Gabriele Rothweiler
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