Klassik_News_27.05.23
Carlos Cipa – Atmosphärische Avantgarde

Carlos Cipa – Atmosphärische Avantgarde

Während man beständig der neuen, mittlerweile fünften Platte von Carlos Cipa zuhört, „Ourselves, As We Are“ betitelt, wird man jedes Mal wieder in eine komplett eigene, versöhnliche Welt entführt. Dem 33jährigen in München ansässigen Komponisten gelingt es auf neun Stücken, die berückende Repetition von Minimalisten-Ikonen wie Philip Glass oder Steve Reich - alle zwei erklärte musikalische Heroen von Cipa - in die Ewigkeit zu bannen. Ständig ist man als Außenstehender vorbehaltlos und unbändig glücklich, wenn man jenen magischen Klängen lauscht. Es gibt hier grandios unprätentiöse, permanent schwebende Spannungsbögen, die der scheue Zeitgenosse entwickelt, dass man taumeln möchte vor lauter Freude übers erstaunliche Geschehen.
Beim Treffen im Münchner Biergarten an einem lauen Frühlingsabend zeigt sich der introvertierte Fan von Klassik-Ikonen wie Bach, Mozart oder Beethoven begeistert von der Einschätzung seines jüngsten Streichs. „Ich wollte eine radikal leise Produktion einspielen, möglichst ohne Misston“, behauptet er. „Was mir glaube ich ganz ordentlich gelungen ist. Für mich ist das Ganze „atmosphärische Avantgarde“, ein passenderer Begriff föällt mir nicht tein.““
Carlos Copa hat sich an einer Mixtur aus analogen und digitalen Klängen auf „Ourselves, As We Are“ versucht, die mich - als klassisch ausgebildetem Pianisten - seit jeher interessiert. Manche der, wie ich sie nennen möchte, ungewöhnlichen Sphärenklänge sind in sich selbst entstanden. Bei anderen habe ich mit dem Moog Synthesizer nachgeholfen, um sie zu verfeinern. Dieses ungewöhnliche Instrument steht in meinen Augen und Ohren für die Suche, denjenigen Klang zu realisieren, den man sich im Hirn letztlich vorstellt.“
Dabei geholfen, diesen äußerst speziellen Klang zu finden, haben Carlos Cipa drei musikalische Mitstreiter an verschiedensten Instrumenten. „Ich wollte mit Hilfe meiner diversen Instrumente eine funktionierende Einheit bei der Platte schaffen“, freut sich Cipa. „Tatsächlich komme ich aus der Klassik, schreibe Partituren, Improvisation spielt in meinem Werk nicht die entscheidende Rolle. Zur selben Zeit schaue ich viele Filme, höre die Soundtracks dazu. Insbesondere die Streifen des japanischen Anime-Großmeisters Hayao Myazaki sowie dessen Haupt-Komponisten Joe Hisaishi sind eine gewaltige Bereicherung für die eigene Arbeit. Ich kenne kaum etwas Originelleres und Berührendes als diesen Stoff.“
Bis er 18 war, hat sich Cipa laut eigenen Aussagen „unaufhörlich mit Klassik beschäftigt, andere Musik hat mich nicht interessiert“, gibt er zu. „Danach habe ich mich fürs Schlagzeug-Spielen begeistert, das war eine Rock-Geschichte. Und ab diesem Zeitpunkt war Rock durchaus eine Sache, die ich für spannend gehalten habe.“
Der Musiklehrer von Cipa wollte den Halbwüchsigen „von Punk fern halten“, erinnert Carlos sich lächelnd im Gespräch, „das war für ihn eine Abart von Musik schlechthin. Doch nach Ende des Studiums begann ich, eigene Sachen zu komponieren. Ich bewegte mich weg von früheren Einschränkungen, die man mir aufdrücken wollte. Ich habe begonnen, Schallplatten zu sammeln. Das tue ich bis heute.
Ich besitze inzwischen mehr als 3000 Vinyl-Scheiben. Darunter bei weitem nicht nur Klassik, sondern auch Sachen von Kraut Rock, Elektronik oder Jazz. Es gibt dermaßen viel spannendes Zeug zu entdecken jenseits der Klassik, das ist grandios.“
Dass Carlos Cipa eine Ausbildung als Klassischer Pianist genossen hat und diese in seine Arbeit unter eigenem Namen ganz bewusst einbringt, hat Einfluss auf sämtliche Alben des Musikers. „Mein Sound entsteht zunächst am Piano“, erklärt der Münchner. „Ich schreibe im Anschluss Partituren, gleichzeitig improvisiere ich darüber. Während ich vor mich hin klimpere, kommt irgendwann ein Rhythmus zustande. Und irgendwann sind in meinem Kopf andere Instrumente als das Klavier zugegen. Dann ergibt sich eines zum anderen. Ein in sich stimmiges Klangbild entsteht. Ich rufe musikalische Freunde an. Wenn die Zeit und Lust haben, begeben wir uns ins Studio und setzen meine Ideen um.“
Gerade plant Cipa mit drei musikalischen Freunden für 2024 eine weltweite Tournee. „Wir werden bei Gigs wie gewohnt die neue Platte jeden Abend komplett aufführen“, freut sich Carlos. „Und jeden Abend klingen sie anders. Nichts ist geloopt, nichts ist geplant. Daher bleibt Raum für Improvisation. Daher bleibt Raum fürs Leben als solches.“
Michael Fuchs-Gamböck
Zu den Klassik_News
tonart Ausgabe Herbst 2023/3

Magazin lesen