Pop_News_02.07.21
CAN - Die Kunst der Repetition

CAN - Die Kunst der Repetition

C-A-N. Drei schlichte Buchstaben, ein schlichtes Wort – doch wieviel Magie dahintersteckt! Can. So nannte sich im Jahre 1968 eine Band aus Köln, die von ihrer Gründung an Musikgeschichte schrieb. Can wollten stets alles. Can, dahinter stand ein eigener Mikrokosmos, durch nichts zu beeinflussen, durch nichts zu erschüttern und stets dem kreativen Neuland verpflichtet.
Nach seiner Gründung wurde das Quartett aus dem Rheinland, bestehend aus Holger Czukay (Jahrgang 1938), Michael Karoli (Jahrgang 1948), Jaki Liebezeit (Jahrgang 1938) und Irmin Schmidt (Jahrgang 1937), rasch zur „vielversprechendsten Band der Welt“, wie das englische Fachblatt „New Musical Express“ ihm schon zu Beginn der 70er Jahre attestierte.
Diese vier beschlossen, „etwas völlig Neues zu machen“, wie sie es selbst ausdrückten. „Und“, so Irmin Schmidt anno 2021, „ohne zu wissen, was wir exakt vorhatten, gründeten wir diese Gruppe.“
Doch was machte diese Band mit dem so merkwürdigen Namen und den ebensolchen Mitgliedern dermaßen bedeutungsvoll? Lassen wir dazu Can-Kenner Pascal Bussy zu Wort kommen, der das grandiose „Can-Buch“ verfasst hat und seit den 70ern ein enger Freund der einzelnen Gruppenmitglieder war: „Für viele Anhänger der zeitgenössischen Musik“, schreibt er, „ist Can ein ebenso magischer wie bedeutungsvoller Name. Nur selten in der modernen Kulturwelt hat eine Gruppe von Musikern ein solch kraftvolles und zugleich widersprüchliches Werk geschaffen und dabei ein ganzes Universum musikalischer Schöpfungen hervorgebracht, dessen Vielfalt nur von seiner Dichte erreicht wird.
In den zehn Jahren von 1968 bis 1978 haben Can die Grenzen der Musik erweitert und mit ihren Dogmen gespielt, Klänge erfunden und entdeckt, die so neu wie einzigartig waren, und dies alles in einem Geist, der sie in die vorderste Reihe der wahren Avantgarde stellte. Heute, viele Jahre später, lebt dieser Geist in den Herzen und Träumen vieler Menschen noch immer weiter.“
Satte zwölf Platten spielten Can zwischen ’68 bis ’78 ein, 1989 gab es mit der Reunions-Scheibe „Rite Time“ einen ordentlichen Nachschlag, ehe sich eine der aufregendsten Bands dieses Universums für immer von der Bildfläche verabschiedete.
Es ist ausgerechnet der Älteste des Can-Clans - Keyboarder Schmidt -, der den Nachlass der Legende zusammen mit Ehefrau Hildegard verwaltet. Gitarrist Karoli verstarb 2001, Bassist und Multi-Instrumentalist Czukay 2017, Schlagzeuger Liebezeit im selben Jahr. „Natürlich vermisse ich die alten Knaben“, seufzt der 84jährige, der seit Dekaden in Südfrankreich zu Hause ist. „Aber wenn ich mir alten Stoff von uns anhöre, der eventuell etwas zur Veröffentlichung taugt, hat das mit Herzblut nicht viel zu tun. Ich wundere mich nur ab und an, was wir - vor allem ich - damals so alles an irrem Zeug gespielt haben.“
Jüngst ist die „Can-Live“-Serie eröffnet worden, Initialzündung ist der 2CD/3LP-Mitschnitt LIVE IN STUTTGART 1975. „Man findet nicht das komplette Konzert darauf“, erzählt Schmidt am Telefon. „In jener Ära sind wir jeden Abend rund drei Stunden auf der Bühne gestanden. Das hätte also den Rahmen gesprengt. Aber was mir beim Neu-Abmischen dieses Gigs aufgefallen ist: Can auf der Bühne waren immer ziemlich anders als Can im Studio. Wir wussten zu Beginn einer Show nie, was wir dem Publikum bieten würden. Deshalb sind einige Konzerte auch furchtbar in die Hose gegangen. Doch das Ding in Stuttgart war unglaublich. Es verkörperte perfekt die Kunst der Repetition. Alles brodelte nur so vor Spannung und Faszination.“
Laut Schmidt gibt es „noch einige andere solcher Dokumente im Archiv, die wir peu á peu in den Handel bringen werden. Die Macht von Can-Musik ist ungebrochen“, meint er. „An schlechten Abenden haben wir furchtbar daneben gelegen. Aber an guten Abenden haben wir uns neu erfunden.“
Grundmotivation bei Live-Gigs war es, „sich niemals zu wiederholen“, reflektiert Schmidt. „Wobei das nichts mit Chaos oder purer Improvisation zu tun hatte. Wir standen voller Konzentration auf der Bühne. Jeder Beteiligte musste sich der Form unterordnen. Wir haben nicht gejammt wie irgendwelche Blues-Rocker. Stattdessen haben wir uns extrem aufeinander eingelassen. Der Komponist Karlheinz Stockhausen, mit dem wir befreundet waren, nannte das nach nach einem Can-Konzertbesuch „Intuitive Komposition“. Ich denke, damit hat er den Nagel ziemlich auf den Kopf getroffen. Das war genau unser Anspruch.“
Die „Live-Serie“ wird fortgeführt, denn „die Rechte am kompletten Can-Material liegen bei meiner Gattin und mir“, ist der Wahl-Franzose und gebürtige Berliner Schmidt hocherfreut. „Ich denke, Can-Sound ist in seiner Originalität zeitlos. Deshalb auch jungen aufgeschlossenen Menschen zuzumuten. Ansonsten habe ich jede Menge Ideen für neue Musik unter eigener Flagge. Mit 84 Jahren, da fängt das Leben an. Oder habe ich was missverstanden?“ Michael Fuchs-Gamböck

Bild: CAN Live In Stuttgart 1975: Auch als Limited Edition in Vinyl (Triple Orange) erhältlich.
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