Pop_News_29.04.25
Ian Anderson Ich bin Pantheist

Ian Anderson Ich bin Pantheist

Ian Anderson ist stets nervös, wenn es darum geht, ein neues Produkt aus dem eigenen Haus zu sponsern. Wohl deshalb sitzt er bereits um 9 Uhr morgens britischer Zeit (= 10 Uhr bei uns) vor dem Telefon und wartet in seinem Studio auf den Anruf unserer Redaktion. Denn es gilt, das neue Album seiner seit 1968 existierenden Band Jethro Tull zu bewerben. „Curious Ruminant“ nennt sich das Meisterstück, das sich durch den geballten Folk Rock-Anteil ganz in der „Tull-Tradition“ etwa der 70er Jahre befindet.
Der Maestro jedenfalls ist hoch zufrieden mit dem akustischen Output seiner Band der letzten Jahre. Und macht daraus bei aller Umtriebigkeit und Nervosität auch keinen Hehl daraus.

Warum spielen die Folk-Einflüsse dieses Mal wieder eine relativ gewichtige Rolle?
Ein bisschen Retrospektive kann nicht schaden, dachte ich beim Komponieren. (lacht) Gleichzeitig ist dieses Werk sehr modern. Ich habe es ganz bewusst mit der zeitgemäßesten Technologie aufgenommen. Denn ich möchte nicht als Retro-Kasper in die Annalen der Rock-Historie eingehen.
Dieses Mal sind politische Anspielungen und Inhalte unschwer herauszuhören. Werden Sie mehr und mehr zum engagierten Menschen?
Ich lese Tag für Tag verschiedene Tageszeitungen, welche aus dem rechten wie aus dem linken Lager stammen. Nur so kann ich mir eine eigene Meinung bilden. Ansonsten habe ich das Glück, Künstler und dadurch Hofnarr zu sein. Ich kann jeglichen Ansichten freien Lauf lassen, so kontrovers sie gelegentlich sein mögen, weil ich keine Verantwortung trage. Ansonsten bin ich neugierig. Nicht bestechlich. Und schon gar kein Missionar.
Auch um das Thema „Kontemplation“ dreht sich immer wieder so einiges in Ihrer Gedankenwelt, richtig?
Ich bin im spirituellen Sektor wie im politischen offen für alles, was mich anspricht, also für Geschichten, die meiner Ansicht nach Sinn ergeben. Mir gefällt auch die Idee, dass es verschiedene Götter gibt, nicht ausschließlich den einen. Ansonsten bin ich Pantheist, also ein Freund der Schöpfung, absolut tolerant gegenüber jeglicher Religion. Von der Grundphilosophie her bin ich dem Christentum verpflichtet, alleine schon, weil ich das „Neue Testament“ für das Buch aller Bücher halte.
Sind Jethro Tull anno 2025 eine „richtige Band“ oder lediglich Sie mit einer Handvoll talentierter Mitstreiter an der Seite?
Noch nie hatte ich eine so konstante Besetzung wie zur Zeit. Die Leute sind allesamt seit 15 Jahren und länger dabei. Bis auf die Gitarristen, die wechseln ziemlich rasch. Okay, ich mag eine Art „sanfter Diktator“ sein, der für sämtliche Kompositionen und Texte verantwortlich zeichnet. Aber ohne meine Jungs würde das Zeug völlig anders klingen.
Auf der aktuellen Scheibe singen Sie sämtliche Verse alleine, während Sie eine Zeitlang vokale Unterstützung hatten. Sind Sie stimmlich wieder fit?
Weitgehend ja! Ich schule mein Sangesorgan Tag für Tag. Vor einigen Jahren war es gesundheitlich extrem angeschlagen. Aber dank harter Arbeit bin ich jetzt erneut auf dem Damm. Nur manche hohe Töne werde ich nie mehr wie früher treffen. Doch mein Bariton kriegt den Rest gut hin. Er ging bereits als Kind durch eine harte Schule, denn ich hatte übles Asthma. Das konnte ich auch überwinden.
Im Mai sind Sie in Deutschland wieder auf Tournee mit Jethro Tull. Ws ist musikalisch davon zu erwarten?
Ein kunterbuntes Durcheinander, wir werden sogar ein oder zwei Titel vom Debüt aus dem Jahr 1968 spielen. Doch der Schwerpunkt liegt auf den letzten drei Scheiben, vor allem auf der neuen. Ansonsten wäre ich ja eine lebende Jukebox. Nein, ich brauche stetige Bewegung im Sound.

Michael Fuchs-Gamböck
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