Pop_News_18.12.23
Der große GRAMMY-Fake - Das Milli Vanilli-Drama

Der große GRAMMY-Fake - Das Milli Vanilli-Drama

Als am 4. Dezember 2023 im „Mathäser Filmpalast“ die „Münchner Weltpremiere“ des Spielfilms „Girl You Know It’s True“ über mehre Leinwände parallel zueinander ausgestrahlt wurde, entlockte das dem geladenem, neugierigem Publikum ein leicht spöttisches Grinsen. „Ging es nicht noch eine Spur größenwahnsinniger“, fragte man sich so amüsiert wie irritiert.
Tatsächlich war der Premieren-Ort exakt der richtige. Denn hier hatte sie angefangen, die durchgeknallte Story von zwei unbedarften, prächtig aussenden, künstlerisch mäßig begabten jungen Männern namens Robert „Rob“ Pilatus und Fabrice „Fab“ Morvan: in der bayerischen Landeshauptstadt.

Der von einem Münchner Ehepaar genau wie seine Schwester Carmen adoptierte Rob hatte schon als Kind den Traum, Profi-Musiker zu werden. Hier kam der erfolgreiche Produzent Frank Fabian ins Spiel, der aus Rob und Fab kurzerhand Milli Vanilli kreierte. Der bodenständige Pfälzer, der Megaseller wie Boney M. oder No Mercy unter Vertrag hatte, schrieb ihnen gleich mit dem Debüt „Girl You Know It’s True“ eine Nummer-1-Single für Deutschland und Österreich in die Annalen. Die Nachfolger „Baby Don’t Forget My Number“, „Blame It On The Rain“ und „Girl I’m Gonna Miss You“ knackten die Pole Position in den US-Charts. „Girl You Know It’s True“ zog nach und führte völlig überraschend die hoch-offizielle amerikanische „Billbard“-Hitparade für sieben Wochen an, was noch nie einer anderen Formation aus Deutschland gelungen war.
Die beiden frischgebackenen Superstars verlegten ihren Wohnsitz von Bayern nach Hollywood. Die schlicht gestrickten Jungs ließen in ihrem wilden Dasein fortan kein Klischee aus: Kreischende Fans pflasterten ihren Weg, Groupies, Drogen en masse und jeglicher Couleur, schnelle Luxusschlitten, Größenwahn. Sie fuhren auf einer Strasse des Irrsinns, während der öffentliche Millionen-Zuspruch nicht abriss.
Zwei Langrillen-Chartsgaranten wurden veröffentlicht, für die jüngere der beiden Produktionen wurde das Duo mit dem amerikanischen Grammy Award als „Best New Artist“ ausgezeichnet. Bei der Dankesrede und in seinem fortgeschrittenem Wahn verglich sich Rob mit Paul McCartney, Elvis Presley, Mick Jagger und Bob Dylan.
Der Absturz war vorgezeichnet. Alles begann damit, dass Rob und Fab ab sofort die Songs ihrer Werke auf Biegen und Brechen selbst singen wollten. Zuvor waren dafür Profis zuständig, die beiden mäßig begabten Vokalisten hatten lediglich Tanzschritte im Programm. Als die Kreativ-Freunde sich nicht von ihrem Vorhaben abbringen ließen, zog Fabian die Reißleine.
Die beiden „Heroen“ sahen das ganz anders: Zwar gab es lediglich Playback-Auftritte während der US-Tournee. Doch als eines Abends das Band stehenblieb, bekam das Publikum mit, welch erbärmliche Sangeskameraden Rob und Fab waren. Durch dieses Desaster war die Karriere des Duos endgültig im Eimer.
Insbesondere in den USA wurde der Skandal medial intensiv behandelt, der Zweier systematisch zerlegt. Der Grammy Award wurde ihm aberkannt, das Plattenlabel „Arista Records“ strich dessen Repertoire, ein US-Gericht sicherte jedem Käufer der beiden Alben eine Entschädigung zu. Milli Vanillis endgültiger Untergang war eingeläutet. Öffentlich wie finanziell.
Rob und Fab, die engsten Kumpels von einst, trennten sich schweren Herzens voneinander. Zu unterschiedlich waren ihre Lebensentwürfe. Der Pariser hielt sich in L. A. mit Gelegenheitsjobs über Wasser, 2004 nahm er an der RTL-Trashshow „Ich bin ein Star - Holt mich hier raus!“ teil. Seither führt der Mann Jahrgang 1966 ein geruhsames Leben. 2023 erschien auf Morvans Facebook-Kanal eine Doku über Milli Vanilli.
Der zwei Jahre ältere Süddeutsche hingegen ließ es nach dem Split von Fab richtig krachen. Sein Alkoholkonsum steigerte sich ins unermessliche, zudem geriet er in L. A. mit der Polizei in Schwierigkeiten, etwa wegen Vandalismus, wanderte in den Knast, Farian kaufte ihn frei, trotz Bewährungsauflagen beging er weitere Delikte. Am Morgen des 3. April 1998 fand Farians Lebensgefährtin Ingrid Segieth das menschliche Wrack tot in einem Hotelzimmer nahe Frankfurt/Main auf. Alkohol und Drogen hatten ihm den Rest gegeben, Pilatus wurde gerade mal 33. Die Milli Vanilli-Story endete, wo sie begonnen hatte - in München. Für Rob tragischerweise auf einem der dort ansässigen Friedhöfe.
Auch der Münchner Regisseur, Drehbuchautor und Produzent Simon Verhoeven wusste rasch, dass hinter dieser wahnwitzigen Geschichte genügend Potenzial für einen schillernden Streifen von zwei Stunden Länge steckte. Über vier Jahre bastelte der Anfang-50er an dem Plot. Am 4. Dezember 2023 kam es schließlich zur vielumjubelten „Weltpremiere“.
Nach den Erfolgskomödien „Männerherzen“ oder „Willkommen bei den Hartmanns“ sieht es für den Sohn der Schauspielerin Senta Berger und des Regisseurs Michael Verhoeven mit „Girl You Know It’s True“ ganz nach einem weiteren Film-Hit in seiner Erfolgskarriere aus. Was laut dem bajuwarischen Charmeur auch an Rob und Fab liegt: „Deren Vergangenheit besitzt alles“, schwärmt er, „was eine Erfolgsgeschichte auszeichnet - sie ist wie ein wilder Comic, es gibt Lebensfreude satt, Drama pur. Eben alles, was einen perfekten Film auszeichnet.“
Michael-Fuchs-Gamböck

Bild © Wiedeman und Berg
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